Forschungsstand

Die sozialen Kontakte von Geflüchteten, die in den letzten Jahren nach Deutschland zugezogen sind, wurden bisher nicht umfassend untersucht. Allerdings wird das Thema in einzelnen Fragestellungen von qualitativen und quantitativen Studien aufgegriffen.

Die ausführlichen Quellen finden sich auf der Seite Literatur.

SVR und Robert Bosch Stiftung (2017): "Wie gelingt Integration?"

Der Forschungsbereich des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) befasste sich 2017 in einer qualitative Studie mit den Lebenslagen und Teilhabeperspektiven von Asylsuchenden in Deutschland. In 62 qualitativen Interviews wurden Asylsuchende ohne sicheren Aufenthaltsstatus aus Syrien, Afghanistan, Somalia, Pakistan, Albanien, dem Kosovo und Mazedonien befragt (SVR 2017, S. 7). Die Geflüchteten hatten die Möglichkeit, frei über die Themen zu sprechen, die für sie wichtig sind. Das Forschungsteam ließ die Flüchtlinge selbst zu Wort kommen, um die Frage nach einer gelingenden Integration aus ihrer Perspektive zu beschreiben (ebd., S. 13).

Eines von vielen Ergebnissen der Studie ist, dass die Bedeutung des zwischenmenschlichen Kontakts laut der Forschergruppe unterschätzt wird. Sie stellt fest, dass viele Flüchtlinge in der Anfangszeit zwar mit Ehrenamtlichen Kontakt haben, darüber hinaus persönliche Begegnungen mit Deutschen aber selten sind. Um sich am neuen Wohnort wohl zu fühlen und heimisch werden zu können, sind persönliche Kontakte sehr wichtig und ein großes Bedürfnis der Zuwanderer. Die meisten Befragten leben aber vergleichsweise sozial isoliert. Insgesamt gibt es nur wenige Gelegenheiten, mit der ansässigen Bevölkerung in Kontakt zu kommen (ebd., S. 64ff.)

Hans-Seidel-Stiftung und OTH Regensburg (2017): "Asylsuchende in Bayern"

In der von der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg (OTH) durchgeführten Studie wurden zwölf Experten und Expertinnen aus der Flüchtlingsarbeit sowie zwölf ausgewählte Geflüchtete interviewt und 779 Asylsuchende mit einem mehrsprachigen, quantitativen Fragebogen befragt (Haug et al. 2017, S. 19). Die Asylsuchenden der quantitativen Erhebung stammen aus den Herkunftsländern Irak, Syrien, Eritrea und Afghanistan und reisten zwischen Januar 2015 und März 2016 nach Deutschland ein (ebd., S. 19). Sie wurden bei Bedarf von Übersetzer/innen unterstützt. Die Erhebungen wurden im Sommer 2016 in Nürnberg und im Landkreis Ebersberg in Gemeinschafts- und Notunterkünften durchgeführt. Die Studie erhebt keinen Anspruch auf Repräsentativität, weil sich eine zufällige Auswahl an Probanden nicht hat realisieren lassen (ebd., S. 171-172).

Die Geflüchteten wurden gefragt, mit wem Sie hier in Deutschland Zeit verbringen. Drei Viertel von ihnen geben tägliche Kontakte mit Personen aus dem eigenen Herkunftsland an. Etwa jeder Vierte verbringt zudem täglich Zeit mit Personen aus anderen Ländern. Mit Deutschen haben nur 10% der Befragten täglich Kontakt. 74% der Menschen aus Eritrea haben mindestens einmal in der Woche Kontakt mit Deutschen. Danach folgen die Flüchtlinge aus Afghanistan mit 63%. Von den Befragten aus Syrien haben nur noch 47% mindestens wöchentlich Kontakt mit Deutschen und Befragte aus dem Irak sogar nur 42%. Knapp ein Drittel der Personen aus dem Irak bzw. aus Syrien gaben an, nie Kontakt zu Deutschen zu haben (ebd., S. 41-42).

Frauen geben doppelt so häufig an, nie Kontakt zu Deutschen zu haben, wie Männer. Jüngere haben signifikant häufiger Kontakt zu Deutschen und Verheiratete signifikant weniger. Eine höhere Schulbesuchsdauer bzw. ein angefangenes oder abgeschlossenes Studium gehen mit höherer Kontaktintensitität einher (S. 43). Christen berichten im Vergleich zu Moslems oder Jesiden von mehr Kontakten mit Deutschen. Zuwanderer mit besseren Deutschkenntnissen haben ebenfalls mehr Kontakt. Auch eine längere Aufenthaltsdauer hängt signifikant mit einer höheren Kontaktintensitität mit Deutschen zusammen.

Auch die qualitativen Studie bestätigt, dass häufig kaum Kontakte zwischen Geflüchteten und Deutschen bestehen. Asylsuchende, die zusammen mit ihrer Familie in Bayern leben, haben außerdem weniger Interesse an außerfamiliären Kontakten. Für Frauen, so die Forscher/innen, können die Schule und der Kindergarten des Kindes wichtige Kontaktorte sein. Viele Geflüchtete beklagen in den Interviews, dass es ihnen schwer fällt, Kontakte mit Deutschen zu knüpfen. Als Hauptgrund wird die Sprachbarriere genannt (ebd., S. 144-145).

IAB, BAMF, SOEP (2016): "Befragung von Geflüchteten"

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB), das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung führten 2016 eine empirische Befragung von Geflüchteten durch. In der quantitativen und repräsentativen Verlaufsstudie wird die Situation von erwachsenen Geflüchteten untersucht, die zwischen Januar 2013 und Januar 2016 nach Deutschland zugewandert sind und einen formellen Asylantrag beim BAMF gestellt haben. Die Flüchtlinge wurden unabhängig von Status und Herkunftsland einbezogen.

Die Studie ist als längsschnittliche, jährliche Wiederholungsbefragung angelegt (Brücker 2016a, S. 15ff.). Die Grundgesamtheit umfasste zum Beginn des Feldzugangs im Juni 2016 529.078 Menschen (ebd., S. 15). Die Ziehung der Stichprobe erfolgte auf Basis des Ausländerzentralregisters. Insgesamt wurden bis September 2016 2.349 geflüchtete Menschen befragt. Das entspricht einem Anteil von 0,4% der Grundgesamtheit (ebd., S. 16-17). Die Befragungen wurden face to face durchgeführt und direkt elektronisch eingegeben. Sprachvermittler/innen wurden nur bei Bedarf eingesetzt. Dafür wurden die Geflüchteten mit Hilfe von in verschiedenen Fremdsprachen eingesprochenen Audiodateien unterstützt. Die Erhebungsinstrumente standen in den Sprachen Arabisch, Kurmandschi, Farsi, Urdu, Paschtu, Deutsch und Englisch zur Verfügung (ebd., S. 18ff.).

In der Studie wird festgestellt, dass die Geflüchteten seit ihrer Ankunft in Deutschland im Durchschnitt drei neue Kontakte zu Deutschen und fünf neue Kontakte zu Menschen aus ihrem Herkunftsland (nicht Verwandte) geknüpft haben (ebd. S. 62). Um welche Kontakte es sich genau handelt (zu Behörden, Verwandten, Freunden etc.) wurde in der Studie nicht genauer untersucht (ebd., S. 63).

Darüber hinaus wurden die Zuwanderer gefragt, wie häufig sie Kontakt zu Deutschen und zu Personen aus dem eigenen Herkunftsland haben (sogenannte Kontaktintensität). 60% der Geflüchteten haben täglich, mehrmals die Woche oder wöchentlich Kontakt mit Deutschen. 40% haben demnach seltener als wöchentlich bzw. nie Kontakt mit Deutschen. Kontakt zu Personen aus dem eigenen Herkunftsland besteht bei 67% der Geflüchteten mindestens einmal in der Woche (ebd., S. 63).

Den größten signifikanten positiven Einfluss auf die Anzahl und Intensität der Kontakte mit Deutschen haben Erwerbstätigkeit und deutsche Sprachkenntnisse. Etwas mehr Kontakte zu Deutschen haben zudem Zugewanderte, die dezentral unterbracht sind und / oder in kleineren Städten leben. Die Anzahl an Kontakten ist bei Frauen signifikant geringer, während es bei die Kontaktintensität keine Geschlechterunterschiede gibt. Das Leben in einer Partnerschaft wirkt sich signifikant positiv auf die Kontaktintensität aber nicht auf die Anzahl von Kontakten aus. Das Vorhandensein von eigenen Kindern hat keinen Einfluss. Ein längerer Aufenthalt in Deutschland erhöht die Zahl der Kontakte mit Deutschen, aber nicht die Kontaktintensität (ebd., S. 64). Interessant ist, dass anerkannte Flüchtlinge, sowie Flüchtlinge, die bereits vor ihrer Ankunft in Deutschland Deutschkenntnisse hatten, signfikant seltener Kontakte zu Deutschen haben (ebd., S. 64).

Die Bedeutung sozialer Kontakte für die Jobsuche wird bestätigt, da 42% der berufstätigen Geflüchteten angeben, den Job über Familienangehörige, Freunde oder Bekannte gefunden zu haben (ebd., S. 50).

Neben der Frage nach Kontakten wurden auch Diskriminierungserfahrungen thematisiert. 10% der Geflüchteten geben an, dass sie in Deutschland "häufig" Diskriminierung erfahren haben, weitere 36% geben "selten" an. Dabei erleben Flüchtlinge, die in einer Partnerschaft leben, signifikant seltener Diskriminierung und Flüchtlinge mit guten Deutschkenntnissen signifikant häufiger (ebd., S. 64).

IAB, BAMF, SOEP (2016): "Geflüchtete Menschen in Deutschland - eine qualitative Befragung"

In der qualitativen Studie der drei Institute wurden 123 Flüchtlinge sowie 26 Experten aus der Flüchtlingsarbeit in 1,5-2 stündigen Intervies befragt. Die Befragungen der Geflüchteten wurden in der Regel mit Sprachmittlern durchgeführt. Neben zahlreichen anderen Themen waren im Gesprächsleitfaden auch Fragen nach sozialen Kontakten aufgeführt (Brücker 2016b, S. 6ff.).

Auch diese Studie bestätigt, dass es den Geflüchteten ein großes Anliegen ist, Kontakte mit Deutschen aufzubauen. Gleichzeitig äußern sie, dass dies schwer fällt. Wichtige Kontaktorte sind Sportvereine, die Schule der Kinder, Arbeit oder Praktika. Zudem können durch das ehrenamtliche Engagement von Helfenden persönliche Beziehungen oder sogar Freundschaften entstehen. Gleichzeitig berichten einzelne Flüchtlinge davon, dass Ehrenamtliche zwar unterstützen, aber den Aufbau von Freundschaften nicht zulassen (ebd., S. 95). Ab Seite 97 werden Zitate zu Diskriminierungserfahrungen von Geflüchteten in Deutschland dargestellt.

Universität Trier (2010): "Egozentrierte Netzwerke von (Spät-) Aussiedlern"

Während die Netzwerkforschung über die seit 2014/2015 zugewanderten Geflüchteten erst am Anfang steht, gibt es einige Studien, die sich mit sozialen Kontakten anderer Migrantengruppen auseinandersetzen. Dabei werden spezifische Methoden der Netzwerkforschung verwendet. Fenicia et al. (2010) untersuchten z.B. mit Hilfe von 10 Namensgeneratoren die egozentrierten Netzwerke von (Spät-) Aussiedlern. Es wurden insgesamt 71 Personen im Regierungsbezirk Trier befragt. Im Schnitt wurden 10,3 Kontaktpersonen genannt. Es zeigt sich eine deutliche ethnische Homophilie, d.h. Menschen mit gleichen ethnischen Wurzeln werden im sozialen Kontakt deutlich bevorzugt. Selbst wenn Familienangehörige und Verwandte nicht beachtet werden, sind 57% der Kontaktpersonen ebenfalls (Spät-) Aussiedler/innen, 31% sind Einheimische und 12% Ausländer (ebd., S. 17). Die Zahl der Kontakte zu Einheimischen steigt mit guten oder sehr guten Sprachkenntnissen auf 37% an (ebd., S. 18). Besonders die Freizeitgestaltung sowie das Besprechen von Herzensangelegenheiten findet eher in der eigenen Ethnie statt. Dagegen wird die Personengruppe der Einheimischen für die Suche nach einem Arbeitsplatz am häufigsten genannt (ebd., S. 20ff.).

Es bleiben viele offene Fragen

Durch die Zusammenschau an Studien über die sozialen Netzwerke von Geflüchteten wird deutlich, dass viele Forschungslücken bestehen bleiben. In quantitativen Studien wurde das Thema bisher nur am Rande mit einzelnen und eher ungenauen Fragestellungen aufgegriffen. Es fehlen Kenntnisse dazu, wie und wo es zu sozialen Kontakten kommt und wie groß die Netzwerke von Geflüchteten sind. Qualitative Studien, in denen Befragten selbst Erzählschwerpunkte setzen können, beweisen hingegen, welche Bedeutung soziale Beziehungen, insbesondere zu Deutschen, für die Geflüchteten haben. Kontakte zwischen Deutschen und Geflüchten sind ein wesentlicher Bestandtteil von Integration und tragen erheblich dazu bei, dass Menschen auch emotional in Deutschland ankommen können. Das ISKA hat den Mangel an Studien zu diesem Thema zum Anlass genommen, die Beziehungen von Geflüchteten in der Studie  "Mitten in Nürnberg?" genau zu untersuchen.