Informationen müssen in die Community getragen werden
Die Entwicklung neuer Informationskanäle kann Freiwilligenorganisationen helfen, Muslimas und muslimische Initiativen besser zu erreichen.
Wer sich als Freiwilligenorganisation fragt, warum trotz breit gestreuter Öffentlichkeitsarbeit keine Diversität unter den Freiwilligen entsteht, sollte die gewählten Informationskanäle prüfen.
Kontakte nutzen und Multiplikator/innen finden
Ein entscheidender Punkt, der oft übersehen wird, ist die Suche nach Schlüsselpersonen, nach Multiplikatorinnen und Multiplikatoren innerhalb der jeweiligen Community (vgl. Esroy et al. 2018, S. 462). Dazu gehören intensive Kontakte zu Moscheegemeinden, Kulturvereinen, Gemeinschaftsunterkünften und stadtbekannten interreligiösen/interkulturellen Initiativen. Die dort tätigen Personen können entsprechende Informationen zu Engagementmöglichkeiten streuen und so die Ansprache fördern und erleichtern. Sie können unter Umständen auch wertvolle Tipps geben, wie das Informationsmaterial noch besser gestaltet werden kann, um z.B. Muslimas zu erreichen.
Gerade für Neuzugewanderte ist es wichtig, grundlegendere Informationen über Freiwilligenarbeit zu erhalten, z. B.: Was bedeutet freiwilliges Engagement generell? Was bedeutet es speziell in unserer Initiative? Welche Haltung steckt dahinter? Was bieten wir als Freiwilligenorganisation? Welche Vorteile bringt ein Ehrenamt bei uns? Welche Vorteile bringt ein Ehrenamt speziell für Neuzugewanderte im Prozess der Einbürgerung?
Die richtige Sprache finden
Der Aspekt der passenden Ansprache kann ebenso auf andere wichtige Informationen bezogen werden, die im Rahmen von spezifischen Engagementprojekten in den Kreis von Zugewanderten getragen werden sollen. So können Angehörige der Communities dabei helfen, wichtige gesellschaftliche Infos zur Chancengerechtigkeit so aufzubereiten und zu vermitteln, dass die Zielgruppe sie ohne Probleme erhält und versteht. Das können z. B. Infos über das formale Bildungssystem sein, um Bildungschancen zu erhöhen, oder Informationen bezogen auf den Arbeitsmarkt, auf politisch relevante Inhalte oder Hilfestrukturen in der Kommune.
Entscheidend ist dabei die Vernetzung hinein in die Community, die Hand in Hand gehen sollte mit der richtigen Ansprache. Und auch hier gilt wieder, dass Authentizität erreicht wird. Die Community nur erreichen zu wollen, weil man sich als Freiwilligenorganisation nach außen den Anstrich von Diversität geben möchte, ist deshalb der falsche Weg.
Infos werden innerhalb der Community weitergegeben
Diese Erkenntnisse ergaben sich aus mehreren Aussagen unserer Gesprächsparterinnen. Sie zeigen, dass das deutsche Konzept von Ehrenamt nicht als bekannt vorausgesetzt werden darf und dass es sich lohnt, Informationskanäle innerhalb der muslimischen Communtity zu nutzen:
"Das ist wirklich kulturell bedingt. Also in vielen Gesellschaften ist man an sowas nicht gewöhnt und kommt man auch nicht auf die Idee, so etwas zu machen, weil in dem Land auch die Strukturen fehlen zum Beispiel. Mittel und Strukturen fehlen. Die Leute seit Generationen kennen das überhaupt nicht. Sie kommen hier, sie haben diese Möglichkeit, ja? Und nutzen sie auch, diese Möglichkeit. (...) Weil sie in diesem Lebensabschnitt die Zeit haben oder die Sprache lernen müssen. (...) Aber auf diese Art und Weise (...) sind sie nicht gewöhnt. Sie helfen schon immer ganz viel in jeder Gesellschaft, aber (...) es ist anders, wie man hilft." (E4)
"Man kann in unseren Kursen, die auch online stattfinden, vieles auch erfahren über ehrenamtliche Arbeit. Da gibt es extra Themen auch über Engagement in Deutschland und da informieren wir die Teilnehmerinnen, die den Kurs mitmachen. Also, dass es sowas gibt, wenn man das will natürlich. Wie kann man das anwenden? Wo kann man halt fragen? Wo kann man sich engagieren? Da gibt es viele Informationen. Das bieten wir auch unseren Teilnehmerinnen und sie können es halt in ihren Netzwerkkreisen auch weiterleiten. So kommen wir voran, andere Leute zu motivieren, in dieses ehrenamtliche Engagement einzusteigen." (G2)
"Wir alle [die wir aktiv in der Moscheegemeinde mithelfen] geben immer die Kontakte weiter. Die Leute kommen und sagen: 'ich möchte mich engagieren' oder 'ich habe Zeit'. Dann sagen wir: 'okay, dann kannst du da und da suchen oder mit der oder mit dem, die sowas schon machen, und gucken.' Weil (...) ich kenne Leute, die bei [Wohlfahrtsverbänden] sind und dann sage ich: 'okay, sprich mal mit ihr oder andere Leute, die sich in dem Stadtteil engagieren zum Beispiel.' Und dann setze ich sie in Verbindung."(E4)
Die Diskussion hinter der Handlungsempfehlung
Die dahinterliegende Diskussion beinhaltet zwei zentrale Aspekte: Zum einen geht es darum, dass Hilfe in verschiedenen Kulturen unterschiedlich verstanden und praktiziert wird und zum anderen wird das Phänomen der gegenseitigen Abgrenzung von Mehrheitsgesellschaft und Community angesprochen, die es zu überwinden gilt.
Kulturelle Unterschiede im Verständnis von Engagement und Hilfe
Unsere Gesprächspartnerinnen berichteten immer wieder von dem unterschiedlichen Engagementverständnis, verknüpft mit einem unterschiedlichen Verständnis von Hilfe, das besonders in arabischen Ländern gegeben ist. Auch im Islam spiegelt sich das wider. Hierbei geht es einerseits um eine selbstverständliche Hilfe für Mitmenschen, die bei einem Problem Unterstützung benötigen. Diese Form der Hilfe braucht keine Rahmenorganisation, sie passiert informell und ist stark ausgeprägt.
Andererseits existieren in Deutschland Strukturen für derartige Hilfsangebote, die es zu kennen gilt, um sie adäquat nutzen oder auch anderen ans Herz legen zu können. Sie sind formal verankert, werden aber oft von denjenigen, für die sie gedacht sind, aus Unwissenheit oder Unzugänglichkeit nicht so stark in Anspruch genommen. Diese v.a. institutionalisierte, professionalisierte Hilfe des deutschen Sozialsystems erscheint für Zugewanderte nicht als selbstverständlich, während sie für Deutsche einen festen Pfeiler der Gesellschaft darstellt. Das Wissen darüber wird meist als selbstverständlich vorausgesetzt.
Das Wissen über institutionalisierte Hilfen ist nicht selbstverständlich
Das kann dazu führen, dass Deutsche einem Mitmenschen nicht selbstverständlich persönliche Hilfe anbieten, weil die Zuständigkeit dafür bei den entsprechenden offiziellen Stellen gesehen wird. Dabei gehen sie davon aus, dass die hilfesuchende Person den Weg zum entsprechenden Amt oder Hilfsangebot selbst kennt, sodass eine Unterstützung nur nötig erscheint, wenn explizit darum gebeten wird:
"Ja diese Selbstständigkeit ist immer so ein Thema. Deutschland
ist -, vom Kindergarten [an] wird das vermittelt halt, dass jeder
selbstständig sein muss. Und natürlich man wird auch begleitet,
aber danach ist es auch Schluss, ne? Du hast auch nicht immer
jemand, der mit dir läuft oder dich hinbringt oder erklärt. Du
musst selber was rausfinden und das Ziel erreichen und so weiter.
Das ist so eine andere Einstellung überhaupt. Also, ich merke
verschiedene Ebenen, auch Mütter mit ihren Kindern in der Schule,
Freiwillige in der deutschen Gesellschaft oder Leute die hier neu
arbeiten in der Ausbildung oder auf dem Arbeitsplatz. Da merke ich
schon, dass die Leute erwarten, Hilfe erwarten sozusagen, aber in
Deutschland ist es nicht so. Ja, wenn du fragst, du was brauchst,
sind die Leute nett und helfen dir auch. Aber du musst dich selber
bewegen." (E4)
Freiwilligenarbeit zugänglich machen
Auch den Bereich der Freiwilligenarbeit und das, was er für die
freiwillig Tätigen selbst eröffnen kann, muss man erst einmal
kennen. Deshalb kann sie ihren integrativen Charakter oft nicht
ausschöpfen. Dabei bietet Freiwilligenarbeit viel integratives
Potenzial, wie die Möglichkeit der impliziten Sprachförderung, die
Chance Kontakte zu knüpfen, die Vorteile für den
Einbürgerungsprozess oder die Gelegenheit, Kompetenzen zu erwerben
und zu stärken. Eine entscheidene Brücke kann geschlagen werden,
wenn leicht zugängliche und zielgruppengerechte Informationen an
entsprechende Schlüsselpersonen und -Stellen gegeben und so
innerhalb der Community verbreitet werden.
Geschlossenheit wechselseitig aufbrechen
Der andere Aspekt dieser Diskussion ist die Geschlossenheit der Mehrheitsgesellschaft gegenüber der Community und genauso die Geschlossenheit der Community gegenüber der Mehrheitsgesellschaft (vgl. Huth 2011), die man sich bewusst machen sollte, wenn man sie durchbrechen möchte:
"Also nicht immer in die Richtung 'wie komm ich in eine muslimische Community, um mein Projekt durchzuführen?' Sondern auch umgekehrt braucht man einen Türöffner" (E5).
Auch hier geht es also wieder um den Vernetzungsaspekt, der uns als zentral begegnet ist, wenn es um Öffnung und so auch um Offenheit geht. Und diese Vernetzung beginnt in unseren Augen in einem Informationsaustausch, der immer wechselseitig sein sollte. Interreligiös/interkulturell geöffnete Freiwilligenorganisationen streuen also nicht nur ihre Informationen in die Community, sondern signalisieren ebenso ein ehrliches Interesse an den Informationen, die die Community selbst streuen möchte, helfen bei deren Verbreitung, machen transparent, wo Schlüsselpersonen und -Stellen zu finden sind und unterstützen bei Bedarf auch bei der Anwerbung von Freiwilligen, die nicht zur Community gehören.